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Was folgt auf die Osterweiterung der Europaeischen Union?
Der Fall Polen/Ukraine

22.-25. Mai 2001 Lwiw-Przemysl


Arbeitsgruppe 1:

Gestaltung des Grenzregimes an der künftigen Ostgrenze der EU: Beispiele, Optionen, juristische und administrative Voraussetzungen.


Arbeitsgruppe 2:

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: wirtschaftliche und politische Konzepte, Wirtschaft und Handel, Verkehr, Euroregionen, Arbeitsmigration.

Michael Emerson hat die Empfehlungen der beiden Arbeitsgruppen vorläufig wie folgt zusammengefasst:

(1) Mehrfach-Visa: Estland und Russland haben sich bereits auf einen Entwurf geeinigt für ein langfristiges und kostenloses Mehrfach-Visum für Einwohner der Grenzregion von Narva-Ivangorod. Polen und die Ukraine könnten einen ähnlichen Entwurf für ihre Grenzregionen vorlegen und die EU könnte beiden Seiten ermutigen, ihn zu verwirklichen.

(2) EU Konsulate in der Grenzregion. Die EU und die Kandidatenstaaten sollten jetzt mit den Planungen für eine angemessene Zahl von Konsulaten in diesen Grenzregionen beginnen, sodass Visagesuche für alle Schengenstaaten in einem oder mehreren Konsulaten von EU-Mitgliedstaaten in regionalen Zentren wie z.B. in Lwiw bearbeitet werden können.

(3) Verzögerungen bei Zoll- und Passkontrolle. Wie beschrieben gibt es ernsthafte Probleme schon vor Polens Beitritt zur EU und Schengen. Diese Verzögerungen sind unentschuldbar. Die Verantwortung liegt bei den polnischen und ukrainischen Behörden. Möglicherweise sollten hier von der EU Zoll-Personal verübergehend abgestellt werden, um zu helfen und die Korrekturen zu überwachen.

(4) Visa-Regime für EU-Besucher der Ukraine. Die ukrainischen Autoritäten sollten die Visapflicht für Besucher aus der EU abschaffen, weil es ein unnötiges Hindernis für Tourismus und Handel darstellt. Wenn der Staat meint, er kann auf die Einkünfte nicht verzichten, dann könnte man Visa am Grenzübergang kaufen, verbunden mit einer einfachen schnellen Formalität (wie es die Türkei macht). Diese einseitige Maßnahme wäre der Ukraine gegenüber nicht unfair, da ja die EU größere Anstrengung unternehmen würde, um der Grenzregion auf andere Weise zu helfen.

(5) Elektronische Grenze. Der technische Fortschritt macht es möglich, beträchtliche Erleichterungen bei der Grenzformalitäten zu planen, z.B. mit maschinenlesbaren Pässen und Visa. Auch könnten die EU-Grenzposten, die online mit dem Schengen Informations-System verbunden sind, so ausgebaut werden, dass Visa auf der Stelle erneuert werden können. Die EU sollte die Einführung eines System mit “smart cards” (wie eine Kreditkarte mit Foto) in Betracht ziehen, um Kurzzeitbesuche kontrollieren und dokumentieren zu können (wie es an der Grenze USA/Mexiko für die dortigen Pendler gehandhabt wird).

(6) Euro-Region Status. Die Persson-Prodi Vorschläge gehen in die Richtung (ohne es auszusprechen), das Konzept der Euro-Region auf die Grenzgebiete der Ukraine mit den künftigen EU-Mitgliedsstaaten (Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien) anzuwenden. “Euro-Region” heißt bevorzugter Einsatz von politischen und finanziellen Mechanismen um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen verschiedenen EU-Staaten und/oder Kandidatenstaaten zu verbessern. Die Ukraine als Ganzes kann zwar nicht als Beitrittskandidat behandelt werden, aber mit dem politischen Willen, den die Persson-Prodi-Initiative ausdrückt, sollte eine Ausweitung der Euro-Region-Mechanismen auf unsere Grenzregion möglich sein.

Die EU-Beitrittsperspektive der Ukraine. Über die sehr viel größere Frage einer EU-Mit-gliedschaft sollte man sich keine Illusionen machen, sie steht auf viele Jahre nicht an. Gleichwohl bleibt es von vitalem Interesse für die Öffentliche Meinung und für die Strategien von Unternehmen, Regierung und Individuen der Ukraine zu wissen, wo die Zukunft des Landes liegt. Die EU sollte die Perspektive einer Mitgliedschaft der Ukraine anerkennen und begrüßen. Das ist kein politisch voreiliger oder operational überflüssiger Vorschlag. Das betrifft die Richtung der ukrainischen geopolitischen Zukunft heute. Viele in der EU werden einwenden, die Erfahrung mit der langfristigen Kandidatur der Türkei sei keineswegs ermutigend für eine weitere sehr langfristig angelegte Verpflichtung. Aber die Fälle liegen ziemlich unterschiedlich. Die Ukraine von heute zögert zwischen einer West- (EU) und einer Ost- (Russland) Orientierung, in einer Zeit, in der Russlands Politik ganz offen auf eine Wiederbelebung der früheren Sowiet-Union zielt, wo immer sich eine Möglichkeit bietet, wobei auch quasi Zwangs-Taktiken nicht ausgeschlossen sind (siehe Georgien). Die EU und Russland trachten nach einer zunehmend verstärkten strategischen Parterschaft, und das ist gut so. Aber wenn die Ukraine ihrerseits nun langfristig eine Integration in die EU anstrebt, dann sollte das ermutigt werden, so dass es auch die Bevölkerung bemerkt, also nicht nur in der diplomatisch/bürokratischen Redeweise wie “Ausschöpfen des ganzen Potenzials des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens”. Die Perspektive einer EU-Mitgliedschaft, und wenn auch nur einer langfristigen, bedeutet etwas.


Arbeitsgruppe 3:

Grenzüberschreitende Zusammenarbeit: Künste, Medien, Wissenschaft.

Nach einem halben Jahrhundert Funkstille zwischen der damaligen Volksrepublik Polen und der Sowjetukraine, d.h. auch: nach der Zeit der ideologisch begründeten Tabus (die wirklichen polnisch-ukrainischen Begegnungen fanden unter den Emigranten-Zirkeln vor allem in Paris statt) waren die 90er Jahre gekennzeichnet durch einerseits den schwierigen Prozess der “Vergangenheitsbewältigung”, andererseits, dank der erstmals quasi offenen Grenze zwischen beiden Ländern, ein Prozess der Begegnungen auf unterschiedlichen Niveaus, die alle mehr oder weniger explizit auf eine gemeinsame europäische Perspektive zielten. Dieser erfreulichen Entwicklungen sollten keinesfalls gestört, behindert oder unter Umständen auch wieder rückgängig gemacht werden durch eine schwer zu überschreitende EU-Aussengrenze zwischen den beiden Ländern.

Aktivitäten auf nichtstaatlicher und regionaler Ebene:

  1. Installation eines Nachrichtenservers mit aktuellen Informationen über Ereignisse in der Ukraine und Polen auf Polnisch, Ukrainisch, Englisch.
  2. Etablierung eines Systems für den Bücheraustausch zwischen den polnischen und ukrainischen Bibliotheken.
  3. Gründung eines unabhängigen nichtstaatlichen Instituts für historische Forschungen in Lwiw, analog zum Wissenschaftlichen Ost-Süd-Instituts in Przemysl; Sammlung und Publikation von Studien über zwischennationale Beziehungen und nationale Minderheiten in der Region.
  4. Die Möglichkeiten des Polnisch- und Ukrainisch-Studiums erweitern; der soziale Status der beiden Sprachen sollte gehoben werden.
  5. Polnische Wissenschaftler sollten für eine Hochschulreform in der Ukraine gewonnen werden, insbesondere im Bereich der postgraduate studies.
  6. Empfehlung an das polnisch-ukrainischen Forum, es möge als weitere Mitglieder ihres Gremius Vetreter der aktiven NGOs einladen.

Empfehlungen an die Regierungen und an die EU:

1. Die europäschen Programme für die Beitrittskandidaten sollten auf die Ukraine ausgeweitet werden.

2. Kostenlose Mehrfachvisas sollten erteilt werden für Kulturschaffende, Wissenschaftler, Journalisten, die sich mit dem Thema der grenzüberschreitenden Kooperation beschäftigen.

3. Das System der Euroregionen sollte exemplarisch an der polnisch-ukrainischen Grenze weiterentwickelt werden.

4. Die lokalen grenzüberschreitenden Initiativen sollte auch unabhängig vom jeweils nationalen Kontext stärker gefördert werden.